21. Oktober 2025 | 14:16 Uhr

Aus für Leih E-Scooter in Prag: Was heißt das für urbane Mobilität?

von Robert Strehler

Adobe Stock

Warum Städte weltweit zwischen E-Scooter-Chaos und cleverer Integration schwanken. Wir haben uns das mal angeschaut!

Prag zieht den Stecker: Ab Januar 2026 will die tschechische Hauptstadt Leih-E-Scooter vollständig aus dem Stadtbild verbannen. Zu viele Unfälle, zu viele wild abgestellte Roller, zu viele Touristen, die sich wenig um Regeln scheren – so begründet die Stadt das Verbot. Private E-Scooter dürfen weiterfahren, Verleihangebote wie Lime und Bolt verschwinden. Prag folgt damit dem Kurs von Paris und Madrid: Wer den öffentlichen Raum nicht kontrollieren kann, streicht das Angebot.¹

Wo es gut läuft

Anderswo zeigt sich, dass es auch ohne Verbote geht. Oslo etwa hat aus dem Roller-Chaos gelernt. Statt wilder Flotten gibt es heute Micromobility-Hubs an Bahnhöfen und Haltestellen, teilweise direkt in die ÖPNV-App integriert. Wer dort bucht, findet geordnete Parkzonen, kurze Wege und klare Regeln. Das Ergebnis: weniger Beschwerden, stabilere Nutzung, mehr intermodale Fahrten. Auch Stockholm und Malmö haben ihr System umgebaut. Die Städte erlauben E-Scooter nur noch an ausgewiesenen Stellplätzen, oft gemeinsam mit Radständern. Die Dichte der Zonen ist entscheidend – zu wenige führen zu langen Fußwegen, zu viele zu Unübersichtlichkeit. Trotzdem funktioniert das Modell deutlich besser als frühere Verbotsdebatten.
Kopenhagen hat den Mittelweg gewählt: Nach einem Quasi-Verbot wurden 240 feste Parkzonen eingerichtet. Heute dürfen Scooter wieder rollen, aber eben nur dort, wo Platz ist.

Wo es scheitert

Paris war das Symbol einer zu schnell gewachsenen Branche. Nachdem sich Beschwerden über Unfälle und zugestellte Gehwege häuften, entschied die Stadt in einem Bürgerentscheid über die Zukunft der Leih-E-Scooter – mit deutlichem Ergebnis: Rund 90 % der Teilnehmenden stimmten für ein Verbot. Die Beteiligung war niedrig, der Effekt groß. Seit Herbst 2023 gibt es in Paris keine Verleihscooter mehr.² Madrid zog 2024 nach. Trotz strengeren Regeln und reduzierter Flottengröße blieben Park- und Sicherheitsprobleme bestehen. Die Stadtregierung stoppte alle Sharing-Dienste – ebenfalls mit Verweis auf den öffentlichen Raum.³ Und nun also Prag, wo sich das Szenario fast identisch wiederholt: hohe Touristenzahlen, zu enge Gehwege, keine einheitliche Regulierung.

Was sagen die Anbieter?

Die Branche zeigt sich gespalten. Anbieter wie Lime, Dott oder Tier verweisen auf Sicherheitsdaten, die eine sinkende Unfallrate belegen. Pro Mio. gefahrene Kilometer wurden zuletzt rund 15 schwere Verletzungen registriert – weniger als in den Vorjahren.⁴ Gleichzeitig investieren die Unternehmen in technische Begrenzungen, präzisere Geofencing-Zonen und E-Service-Flotten, um Umweltbilanzen zu verbessern. Verbote lösen scheinbar das Problem - oder nicht? Stattdessen brauche es klare Regeln, verbindliche Stellplätze und eine gemeinsame Datenbasis zwischen Stadt und Betreibern.

Wie läuft es in Deutschland?

In Deutschland versuchen die Städte, den Spagat zwischen Regulierung und Offenheit zu schaffen – mit gemischtem Erfolg.
Berlin, Hamburg und München setzen auf Konzessionen mit klaren Auflagen: definierte Parkzonen, Flottenobergrenzen, Datenpflichten. Besonders Berlin hat seine Anbieterzahl reduziert und eine Art „Verkehrsfrieden“ erreicht – zumindest in der Innenstadt.⁵ In Köln und Frankfurt dagegen häufen sich Beschwerden über rücksichtslos abgestellte Fahrzeuge, obwohl die Kommunen längst Abstellverbotszonen eingeführt haben. Kleinere Städte wie Münster, Ulm oder Dresden zeigen, dass Integration auch ohne Chaos funktioniert – dort ist die Zahl der Anbieter gering, die Kommunikation direkter und die Flotten überschaubar. Trotzdem bleibt das Bild uneinheitlich: Während einige Kommunen Scooter als Teil ihrer Mobilitätsstrategie begreifen, sehen andere sie weiterhin als Störfaktor. Ein bundesweiter Rahmen fehlt – und mit ihm eine gemeinsame Vision, wie Mikromobilität langfristig aussehen soll.⁶

Klimaeffekt & Modal Split

Die Frage, ob E-Scooter einen Beitrag zur Verkehrswende leisten, hängt stark vom Einsatzkontext ab. Studien aus Europa zeigen, dass nur rund 15–20 % der Fahrten tatsächlich Autowege ersetzen – der Großteil stammt von Fußgänger:innen oder ÖPNV-Nutzenden.⁷ Das heißt: Wer Scooter ohne System integriert, verschiebt Wege, aber verändert keine Emissionen.
Anders in Städten, die E-Scooter gezielt mit dem Nahverkehr verzahnen. In Oslo oder Helsinki entstehen durch Parkzonen an Umsteigepunkten neue Routinen – der Roller ersetzt hier oft den letzten Kilometer, nicht den Bus. Auch die Ökobilanz hat sich verbessert: neue Modelle halten länger, Servicefahrzeuge sind zunehmend elektrisch, die Recyclingquote steigt. Trotzdem bleibt der ökologische Nutzen nur dann positiv, wenn Scooternutzung wirklich motorisierte Kurzstrecken ersetzt.⁸

Zwischenbilanz

Statistisch werden E-Scooter sicherer. Politisch aber bleibt die Lage fragil. Manche Städte reagieren mit Verbotsreflex, andere mit Systematik. Das Pendel zwischen Prag und Oslo zeigt, dass Mikromobilität kein technisches, sondern ein Design- und Governance-Problem ist. Dort, wo Parkzonen, ÖPNV-Integration und Kontrolle zusammenspielen, funktioniert es – überall sonst bleibt das Chaos.

1 „Prague bans shared e-scooters from 2026 over ‘chaos’ on sidewalks“ (Reuters)
https://www.reuters.com/business/prague-bans-shared-e-scooters-2026-over-chaos-sidewalks-2025-10-20/

2 „Paris bans shared e-scooters after a public consultation“ (Urban Mobility Observatory)
https://urban-mobility-observatory.transport.ec.europa.eu/news-events/news/paris-bans-shared-e-scooters-after-public-consultation-2023-04-17_en

3 EU Urban Mobility Observatory
„Paris to ban e-scooters from September“ (Reuters)
https://www.reuters.com/world/europe/parisians-vote-ban-e-scooters-french-capital-2023-04-02/

4 „Madrid to ban e-scooters for reckless driving and chaotic parking“ (Reuters)
https://www.reuters.com/world/europe/madrid-ban-e-scooters-reckless-driving-chaotic-parking-2024-09-05/

5 „After the Paris ban, what’s next for e-scooters?“ (Eurocities / Urban Mobility Observatory)
https://eurocities.eu/latest/after-the-paris-ban-whats-next-for-e-scooters/

5 „The effect of shared e-scooter programs on modal shift“ (Kazemzadeh K. et al., 2024)
https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2210670723007072

6 „‘I’ll Take the E-Scooter Instead of My Car’ — The Potential of Shared Micromobility in Germany“ (Gebhardt L. et al., 2021)
https://www.mdpi.com/2071-1050/13/13/7361

7 „Lessons from an Analysis of E-Scooter Regulation in Germany & US“ (StädteTag e. V., 2023)
https://www.staedtetag.de/files/dst/docs/Publikationen/Publications-in-English/position_paper-e-scooter-regulation-germany-us.pdf

Deine Takeaways

- Großstädte ziehen den E-Scooter-Stecker
- Prag ab 1.1.2026

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