07.10.2025 | 12:28 Uhr

„Wir müssen sichtbar machen, was fehlt – und wer fehlt": Nora Mühling vom Mountainbike Forum Deutschland

von Anne-Katrin Hutschenreuter

Nora Mühling-WE RIDE
Journal
Im Gespräch mit Nora Mühling vom Mountainbike Forum Deutschland: zwischen Förderprojekten, Empowerment und Trail-Visionen – mitten im Grünen, wo die Zukunft des Bikens beginnt. (c) WE RIDE

Nora Mühling vom Mountainbike Forum Deutschland bringt nicht nur neue Perspektiven in die Branche – sie hinterfragt alte Bilder: Wer fühlt sich überhaupt angesprochen, wenn von „Bikern“ die Rede ist? Und was braucht es, damit mehr Frauen und Mädchen selbstverständlich Teil der Szene werden? Im Interview spricht sie über ihre Arbeit im Verband, über Förderprojekte, Forschung und Netzwerke – aber vor allem darüber, warum Sprache, Bildwelten und Infrastruktur so entscheidend dafür sind, dass sich weiblich gelesene Personen in der Mountainbike-Welt wiederfinden. Ihr Appell: Wir müssen endlich ernsthaft zuhören, was Frauen wirklich brauchen – nicht nur auf dem Trail, sondern auch auf dem Weg dorthin.

Anne-Katrin im Interview mit Nora Mühling

Nora, du arbeitest seit 2021 beim Mountainbike Forum Deutschland e. V. – wie bist du dort gelandet und was bringst du mit?

Ich bin Nora, komme ursprünglich aus der Leipziger Ecke und arbeite seit 2021 beim Mountainbike Forum Deutschland e. V. Was viele überrascht: Ich bin selbst keine Mountainbikerin – aber genau das bringt oft eine andere, wertvolle Perspektive ins Team. Ich habe Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Internationale Beziehungen studiert und zuvor sechs Jahre in der Stadtverwaltung Wolfsburg gearbeitet – im Bereich für Repräsentation und internationale Partnerschaften, für Europa-Projekte und kommunale Entwicklungszusammenarbeit. Was mich schon immer bewegt hat: globale Themen und lokal Chancen zu verknüpfen. In Wolfsburg habe ich Entwicklungspartnerschaften umgesetzt, u. a. mit befreundeten Städten in Tunesien oder auch Bosnien und Herzegowina, und vor Ort Projekte mit Jugendlichen im Bereich Bildung für nachhaltige Entwicklung im Sinne der Agenda 2030 angestoßen. Was mich dann an der Stelle beim Mountainbike Forum dann besonders gereizt hat? Die Wirkungskraft als Dialogforum und das Team! Wir sind klein, bunt gemischt und ergänzen uns großartig. Ich bringe vor allem eine weibliche Perspektive ein und frage regelmäßig: Wen sprechen wir hier eigentlich an? Fühlen sich wirklich alle gemeint? Gerade in der Bike-Welt ist das wichtig, weil viele Menschen sich nicht mit dem klassischen Bild des männlichen „Bikers“ identifizieren. Diese Impulse kann ich hier einbringen – und das wird sehr wertgeschätzt. Und auch der Ort passt: Wir sitzen hier in Leipzig mitten im Grünen, mit Blick ins Freie – das spiegelt genau das wider, worum es uns geht. Auch wenn ich nicht auf dem Mountainbike unterwegs bin, ist die Verbindung von Natur und Radfahren für mich zentral. Ich genieße es draußen zu sein, mich auf dem Rad im Grünen frei zu fühlen und denke dabei gern an meine Kindheit zurück und die kleinen Wettrennen auf der Schotterstraße vor unserem Haus. Radtouren mit der Familie, mit dem Diamant zur Uni, an den See oder zur Arbeit. Das zieht sich durch mein ganzes Leben.

Wie bringst du deine Werte und Erfahrungen in deine Arbeit beim Mountainbike Forum ein – und woran arbeitest du aktuell? 

Ich habe aus meiner Zeit in Wolfsburg neben dem Event- und Veranstaltungsmanagement vor allem das Thema Fördermittel mitgebracht – das hilft uns im Verein sehr, weil wir dadurch zusätzliche Projekte realisieren können. Aktuell engagiere ich mich stark im Bereich europäischer Austausch, insbesondere bei unseren Erasmus-Projekten. Gleichzeitig lenke ich einen besonderen Fokus auf soziale Aspekte, Nachwuchsförderung sowie Mädchen und Frauen im Mountainbiken. Dazu bin ich viel in Kontakt mit möglichen Partner:innen, um zu schauen, wo wir gemeinsam noch mehr bewegen können. Die Austausche in den Initiativen „Women in Cycling Germany“ sowie „Women in MTB Europe“ sind dabei ebenfalls super inspirierend. Mir geht es vor allem darum, mehr Kinder aufs Rad zu bringen – am besten raus in die Natur. Denn genau dort entstehen prägende Erlebnisse: Du hast Spaß, bist nicht allein unterwegs, sondern Teil eines Teams und fällst im Zweifelsfall ein bisschen weicher. Genau das versuche ich mitzugestalten – diese Kombination aus Freude an Bewegung, Naturverbundenheit, nachhaltigem Denken und Mobilitätsbildung. Wir kennen alle die Vorteile des Radfahrens für die persönliche Entwicklung und Gesundheit. Wieso engagieren wir uns nicht noch viel mehr dafür, dies von klein auf zu verankern.

Habt ihr euch damit auch eine politische Ausrichtung gegeben – im Sinne der Verkehrswende?

Uns geht es vor allem darum, die Angebotsentwicklung zu unterstützen, Dialoge zu schaffen und damit letztlich naturverträgliches Biken zu fördern. Wir würden uns freuen, dafür noch mehr Zugang zu schaffen, dass alle von den positiven Effekten profitieren können: Du entwickelst Selbstvertrauen, lernst deinen Körper besser kennen, schulst deine Koordination, dein Einschätzungsvermögen und wirst eigenständig mobiler. All das sind Fähigkeiten, die du später im Leben ständig brauchst. Und dann sind da noch die Softskills: Wenn man gemeinsam unterwegs ist, unterstützt man sich, hilft sich gegenseitig – das schafft Zusammenhalt und stärkt soziale Kompetenzen. Positive Erfahrungen erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass das Fahrrad weiter genutzt und später ganz selbstverständlich zum Alltag gehört. Insofern, ja: Was wir tun, zielt auch auf gesellschaftliche Wirkung – und ist damit auch ein Beitrag zur Mobilitätswende.

Wo siehst du aktuell die stärksten Hebel, um besonders Frauen oder weiblich gelesene Personen fürs Mountainbiken zu gewinnen?

Ich glaube, da gibt es nicht den einen Hebel – es ist ein ganzes Bündel an Stellschrauben. Gerade, weil ich von außen zum Biken gekommen bin, merke ich oft, wie sehr schon Sprache und Bilder ausschließen können. Wenn irgendwo von „Bikern“ die Rede ist, sehe ich sofort einen Mann mit Full-Face-Helm und Protektoren vor mir – das bin ich einfach nicht. Ich fahre gern Rad in der Natur, aber würde mich nie als „Biker“ bezeichnen. Wenn ich aber lese, dass „die Biker:innen eines Vereins“ einen Aktionstag machen, denke ich: Klingt cool, da schau ich vielleicht mal vorbei. Diese kleinen Unterschiede in der Ansprache machen viel aus. In der medialen Darstellung sehe ich noch viel Potenzial. Es geht darum, Sprache und Bildsprache sensibler zu wählen. Wer spricht da eigentlich? Wer wird gezeigt – und wer nicht? Auch in vielen Bike-Magazinen hat sich zwar schon etwas getan, aber oft dominieren immer noch sehr technische Inhalte mit männlichem Blick. Wenn wir hier offener, vielfältiger und inklusiver kommunizieren, erreichen wir auch ganz andere Zielgruppen. Social Media Arbeit birgt hier ein großes Potenzial, Vorbilder spielen eine wichtige Rolle und natürlich auch weibliche Fachkräfte in der Bike-Branche, die Angebote und die Entwicklung gestalten.

Spürst du im Forum, dass von Frauen andere Fragen oder Bedürfnisse herangetragen werden – entwickelt sich da etwas von innen heraus oder ist das nur eine Annahme von außen?

In erster Linie agieren wir als Netzwerk, das Entwicklungen im Mountainbiking sichtbar macht, Impulse aufgreift und in die Breite trägt. Dazu gehören vor allem der Deutsche Mountainbike-Kongress, Kooperationsprojekte und die aktive Interessenvertretung im Bike Nature Movement ebenso wie Marktanalysen und die Veröffentlichung von Leitlinien und Arbeitshilfen. Durch unsere enge Zusammenarbeit mit Regionen und Akteur:innen aus der Branche erleben wir, dass das Thema Diversität und Zielgruppenerweiterung schon stärker in den Fokus gerückt ist. Dazu zählen insbesondere Frauen bzw. Menschen, die grundsätzlich Interesse am Mountainbiken haben, aber den Zugang noch nicht gefunden haben. Mit unserem Mountainbike Monitor und dem Gravel-Monitor 2024 haben wir Daten erfasst, mit denen wir genauer hinschauen können: Wer antwortet eigentlich auf unsere Umfragen? Welche Bedürfnisse, Wünsche oder Hürden zeigen sich – insbesondere bei Frauen? Diese Daten sind für uns essenziell, um Annahmen zu prüfen und daraus konkrete Empfehlungen abzuleiten. Es ist also nicht nur ein Gefühl, sondern auch unausgeschöpftes Potenzial.

Glaubst du, dass der Frauensport dem Männersport “auf Augenhöhe” begegnen muss – oder braucht es einen eigenen Zugang, um echte Gleichberechtigung zu erreichen?

Ich glaube, das Ganze muss wachsen. Es geht nicht darum, bestehende Strukturen komplett umzuwidmen – das wäre weder realistisch noch zielführend. Vielmehr geht es darum, sichtbar zu machen, dass die Zielgruppe, die oft übersehen wird – Frauen, Mädchen oder allgemein Menschen, die wir noch nicht erreicht haben – riesengroß ist und endlich mitgedacht werden muss. Natürlich gibt es auch heute schon viele Frauen, die sehr aktiv oder Profis sind. Sie nutzen die vorhandene Infrastruktur, die es in vielen Regionen bereits gibt – mit tollen Angeboten und großem Potenzial. Aber wir brauchen zusätzlich Räume für einen niedrigschwelligen Einstieg: Techniktraining, Trailspielplätze, Übungsbereiche, spezifische Angebote für Frauen und von Frauen – all das hilft, Barrieren für einen Start abzubauen. Der Ansatz ist ganz einfach: Die Infrastruktur sollte genauso bunt sein wie die Zielgruppen, die wir erreichen wollen. Was für Kinder funktioniert, funktioniert oft auch für Erwachsene. Und was für Frauen gut und sicher befahrbar ist, ist auch für alle anderen gut – also warum gibt es diese Lücken überhaupt noch? Es geht um Selbstverständlichkeit. Noch prägt uns oft ein sehr traditionelles Bild vom Mountainbiken – Männer auf den Trails. Aber das ändert sich. Und je selbstverständlicher wir Diversität mitdenken – in Sprache, Infrastruktur und Angeboten – desto schneller entwickelt sich der Sport auch in der Tiefe weiter.

Was wünschst du dir für die Zukunft der Mountainbike-Szene – gerade mit Blick auf mehr Diversität und Nachwuchsförderung?

Mein Wunsch ist, dass wir ernsthaft fragen und zuhören: Was brauchen Frauen, Mädchen und all jene, die sich bislang nicht im klassischen männlichen Bild des Mountainbikens wiederfinden? Wir müssen den Perspektivwechsel wirklich wollen – nicht nur in Bezug auf Geschlecht, sondern auch auf Alter, Herkunft oder soziale Hintergründe. Mountainbiken darf kein Luxus sein. Es braucht Angebote, die für alle zugänglich sind und richtig Spaß machen – unabhängig vom Kontostand oder von den Startvoraussetzungen. Ich bin zum Beispiel auch im Beirat von OpeningUpTheOutdoors aktiv, das den Fokus auf People of Colour im Outdoorsport legt. Diversität ist kein Nischenthema. Sie geht uns alle an. Ein großer Wunsch von mir wäre, dass Bikecamps an Schulen genauso selbstverständlich werden wie die klassischen Skicamps – am liebsten als fester Bestandteil im Lehrplan. Kinder könnten so, unabhängig von Herkunft oder Einkommen, grundlegende Fahrtechnik lernen, Selbstvertrauen aufbauen, Mobilität erleben und gleichzeitig ein Bewusstsein für Natur und Nachhaltigkeit entwickeln. Denn wer schon früh positive Erfahrungen auf dem Rad macht, bleibt oft ein Leben lang dabei – und vielleicht wächst daraus sogar ein berufliches Interesse für die Fahrradbranche.

Gibt es ein Projekt, bei dem ihr sagt: Das ist für uns eine echte Blaupause – so stellen wir uns eine gelungene Umsetzung vor?

Ein richtig gutes Beispiel für gelungene Umsetzung ist für uns Freiburg. Dort passiert ganz viel auf Community-Ebene – besonders auch im Bereich Frauenförderung und Nachwuchsarbeit. Der lokale Mountainbike-Verein hat tolle Angebote auf die Beine gestellt, etwa eine Jugendgruppe, die von zwei Frauen geleitet wird. Das ist keine Selbstverständlichkeit, sondern ein starkes Signal. Denn genau solche Vorbilder brauchen wir: Frauen, die Verantwortung übernehmen, die sichtbar sind und zeigen, wie vielfältig und zugänglich der Sport sein kann. Unser Kollege Jörn ist eng mit der Szene vor Ort vernetzt und sieht: Wenn Strukturen geschaffen werden, die einladend und inklusiv sind, dann kommt auch Bewegung in die Szene.

Vielen Dank!

Das Könnte dich auch interessieren

WE RIDE GmbH (i.G.)
c/o Communisystems-Care GmbH
Gießerstraße 18

04229 Leipzig

magnifiercrossarrow-up